Von machtvoll zu kraftvoll – Die Zukunft ist weiblich

von | Nov 16, 2020

Bevor ihr fragt: Nein! Das hier wird weder eine Geschlechterdiskussion noch ein Männer-Bashing oder ein „Frauen an die Macht“ Plädoyer. Aber gehen wir zunächst sechs Wochen zurück in der Zeit…

Wieso überhaupt dieses Thema?

Anfang Oktober saß ich im Flieger nach Hamburg. Aufgrund der aktuellen Regelung, nur noch ein Handgepäckstück mit an Bord nehmen zu dürfen, stand mein Koffer kurz vor der Explosion – einschließlich meiner in seinen Tiefen verbuddelten Kopfhörer. Also blätterte ich ziellos durch das Bordmagazin. Sofort fiel mein Blick auf eine Überschrift: „Sind Frauen die Surfer der Zukunft?“. Schon wieder?!

In den letzten Wochen war mir das Thema Frauen tatsächlich ziemlich häufig über den Weg gelaufen. Sei es in Bezug auf den Umgang mit der Corona-Pandemie in Ländern mit Frauen an der politischen Spitze, in Gesprächen darüber, wie insbesondere Frauen immer häufiger eine Sehnsucht nach neuen Wegen in Kommunikation, Zusammenarbeit und Führung ausdrücken, oder basierend auf eigenen Beobachtungen, wie anspruchsvoll es für Frauen ist, in einer vielfach noch klassisch hierarchisch geprägten Arbeitswelt wirksam werden zu können.

Eigentlich also kein Wunder, dass mir der Artikel sofort ins Auge fiel. Mein Wahrnehmungsfilter für dieses Thema war mehr als angeknipst.

Eine sich zeigende Zukunft

Ich bin wirklich keine ausgesprochene Feministin. Dennoch wird eines immer stärker wahrnehmbar: der Wunsch und das Streben insbesondere von Frauen nach mehr Gemeinschaftlichkeit, Augenhöhe und Ergebnisoffenheit bei der Gestaltung von Zukunft – ohne „Highlander“-Allüren. Und nach mehr „echter“ CoKreativität und Potenzialsynergie.

Wenn sich diese Sehnsucht und dieses Streben nach einer neuen Form von Führung und Gestaltung – und vor allem auch die damit einhergehende Bereitschaft für den Blick auf sich selbst und den eigenen Beitrag – weiter potenzieren, werden viele Diskussionen über Geschlechtergerechtigkeit oder Quoten nach und nach leiser werden können. Denn die Veränderung wird einfach passieren.

Weil sie einfach gemacht wird. Es ist nicht leicht und geht vielleicht nicht rasend schnell, aber es passiert. Jetzt. Genau in diesem Moment.

Die Rolle unserer inneren Stimmen

Versteht mich bitte nicht falsch! Es gibt durchaus auch Männer, auf die diese Beobachtungen zutreffen. Und es hat vermutlich auch weniger mit dem Geschlecht zu tun, sondern vielmehr mit den inneren Anteilen, die wir alle in uns haben. Die uns prägen und unsere Gedanken und unser Handeln begleiten und beeinflussen.

Ihr kennt sie vermutlich alle: diese Stimmen in uns, die so Dinge sagen wie „du kannst jetzt nicht schon Feierabend machen“, „verpasse nicht deine Yogastunde, die tut dir doch immer so gut“, oder „das hättest du aber wirklich besser machen können“. Wenn wir diesen Stimmen Namen geben, sind diese vielleicht so etwas wie „der Ehrgeizige“, „die Balancierte“, „der Kontrollierte“ oder „die Kritikerin“. Schon in der Benennung wird deutlich, dass diese Anteile eher männlich oder weiblich geprägt sind, und es ist ganz individuell, welche wir in uns haben, welches „Geschlecht“ sie haben, und wie laut oder leise sie sind.

Diese inneren Anteile sind uns übrigens nicht alle wohlgesonnen. Manche machen uns das Leben durchaus leichter und sorgen dafür, dass wir gut mit uns selbst und mit anderen umgehen, andere machen uns eher runter. Je mehr eigene Klarheit ich über diese Anteile, wo sie herkommen und was sie mir sagen habe, desto bewusster kann ich sie leiser und lauter stellen. So dass sie mir dann hilfreich sind, wenn ich sie brauche, und die Klappe halten, wenn sie gerade fehl am Platz sind.

Frauen oder Weiblichkeit?

Aufgrund der Erfahrungen und Prägungen der Generationen vor uns bis hin zum Ursprung der Menschheit, sind bestimmte männliche und weibliche Anteile bis heute in uns verankert. Typischerweise Männern zugeschrieben Anteile gehen eher in Richtung Stärke, Ehrgeiz, Kampfgeist oder Machtstreben, wohingegen stereotypisch weibliche Anteile eher mit Begriffen wie Fürsorge, Gemeinschaftlichkeit, Sensitivität oder Intuition beschrieben werden. Diese vermeintliche Trennschärfe gibt es in der Form heute nicht mehr. Im Gegenteil: immer mehr Frauen entdecken die „männlichen“ Anteile, die sie in sich tragen, und immer mehr Männer verbinden sich mit ihren „weiblichen“ Anteilen.

Es geht also gar nicht so sehr um Mann oder Frau oder Divers, oder… Sondern darum, dass die weiblichen Anteile in einer Welt, in der VUCA, Dynaxity, Ambidextrie und Co. nicht mehr wegzudenken sind, eine immer größere Bedeutung gewinnen. Die Welt wie wir sie heute kennen ist nicht mehr zu „beherrschen“, zu „kontrollieren“ oder zu „steuern“.

Wir wissen nicht was die Zukunft bringt, und wir können es auch nicht planen. Das bekommt spätestens jetzt, in Zeiten von „Big C“, wirklich jeder zu spüren.

Wir können uns also nur auf das verlassen, was jetzt gerade schon da ist, und unsere Diversität, Perspektiven, Ideen und unser ganzes Potenzial zusammenbringen – gemeinschaftlich, füreinander sorgend, und auf Augenhöhe –, um die ungewisse Zukunft gemeinsam zu gestalten. Und zwar nicht mit aller Macht, sondern mit aller Kraft.

© Text & Bild: Michaela Meyer