„Arbeitgebersiegel“ –  so überhaupt nicht mein Thema.

Talention listet insgesamt 84 verschiedene Auszeichnungen – da vergeht mir schon beim Scrollen die Lust. Gleichzeitig werden sehr nachvollziehbare Gründe genannt, aus denen Siegel, Auszeichnungen und Preise vor dem Hintergrund von Employer Branding und Recruiting sinnvoll sein können. Sie sollen Orientierung geben, ein „Look & Feel“ von einem Unternehmen ermöglichen und Informationen transportieren, um Bewerbende auf sich aufmerksam zu machen, zu begeistern und – im Idealfall – zu gewinnen. Für die Bewerbenden sollen sie hilfreich sein, Einblicke und ein besseres Verständnis über ein Unternehmen zu bekommen: Wie wird hier geführt und zusammengearbeitet? Welche Werte und Leitlinien sind grundlegend? Wie sehr kann ich mitgestalten und mich weiterentwickeln? Welcher Fokus liegt auf relevanten Themen wie Arbeitsschutz und Nachhaltigkeit? In der Essenz: Was kann ich hier wirklich erwarten?

Mir ist klar, dass der Anspruch nicht sein kann, mit einem Siegel oder „Preis“ all diese Themen zu adressieren und „abzuhaken“. Gleichzeitig sollte meiner Ansicht nach jedes Unternehmen, das in einen Evaluationsprozess mit dem Ziel einer solchen Zertifizierung einsteigt, genau prüfen und sehr bewusst entscheiden, welche Qualität und Aussagekraft diese im Ergebnis wirklich hat. Für mich persönlich gibt es wenig Unglaubwürdigeres als ein Pokal auf dem Sideboard, wenn die Stimmung im Unternehmen eine ganz andere Sprache spricht.

Drum prüfe, wer sich (ewig) bindet…

Es ist wirklich anspruchsvoll… Wie soll ein Unternehmen aus 84 (und mittlerweile vermutlich noch viel mehr) Möglichkeiten auswählen, welches Siegel das passendste ist? Wie läuft der Prozess ab und wieviel Aufwand gilt es einzuplanen? Was wird bewertet? Wo bekommen wir die internen Informationen alle her? Was kostet der Spaß? Fragen über Fragen… die sich ernsthaft zu stellen, zu durchdenken und zu beantworten immer lohnt! Zumindest insofern, dass sie auch ernsthaft gestellt werden wollen – denn die Frage, ob es nur eine Auszeichnung oder ein tatsächlicher, tiefgreifender und hilfreicher Erkenntnisgewinn sein soll, muss jedes Unternehmen für sich beantworten.

Drama, Baby?

Dass dieses Thema mich aktuell beschäftigt, kommt nicht von ungefähr. Es ergab sich jüngst ein Kontakt zu einem mir bis dato unbekannten Unternehmenssystem, das der Einschätzung einer hochrangingen Führungskraft nach ohne das ernsthafte in Erwägung ziehen eines ganzheitlichen Veränderungsprozesses seine eigene Zukunftsfähigkeit akut gefährden könnte. Kann passieren… Rahmenbedingungen verändern sich, Trends entwickeln sich, neue Generationen treffen aufeinander, und so weiter und so fort. Kein Drama. Irgendwas ist ja immer. Der Salat ist allerdings vorprogrammiert, wo dieses Unternehmen doch gerade erst eine ganz großartige Auszeichnung erhalten hat – wie und welche tut an dieser Stelle nichts zur Sache. Fakt ist: Mit dieser Auszeichnung legitimiert die auszeichnende Instanz das Top Management dazu, alles so zu lassen, wie es is, weil es ja „super läuft“. Sonst hätten sie kaum eine Auszeichnung bekommen – oder etwa doch?!

Auszug aus einem Chat-Protokoll:

So – oder ähnlich – könnte sich ein Chat-Protokoll lesen, in dem auf informellem Wege erste Recherche-Ergebnisse über das dem obigen Unternehmen verliehene Gütesiegel ausgetauscht werden:

Auszug aus der Website eines Gütesiegel-Anbieters:

In einem ersten Evaluierungs- und Auswahlprozess werden die Unternehmen ausgewählt, die als (…) Finalisten in den Coachingprozess aufgenommen werden. Im Fokus stehen dabei die Vollständigkeit und Plausibilität der eingereichten Informationen, die wirtschaftliche Stabilität des Unternehmens und das Umsatz- und Mitarbeiterwachstum der vergangenen Jahre.

Maria:

„Ich habe mich mal kurz eingelesen in… Also ich lese hier z.B. nichts von Gewinn (nur Umsatz, bei dem ich sicher bin, dass der steigt in der Branche), Kultur, Mitarbeiterzufriedenheit o.ä. – meiner Einschätzung nach fehlen langfristig zu denkende Erfolgsfaktoren PLUS es handelt sich tatsächlich um „eingereichte Informationen“, auch wenn sie von „Coachingprozess“ sprechen. Streng genommen ist das richtiger BS und ich finde es fast verantwortungslos, als solch große Player im Markt Unternehmen zu suggerieren, sie könnten langfristig florieren, wenn sie „einfach weitermachen…“

Christin:

„… Ich habe es befürchtet, das liest sich wahrlich gruselig… Ich teile dein „grrrrrrr,“ – gleichzeitig ist es ja nun mal so, dass jeder nur in der Integrität agiert, die ihm gerade zur Verfügung steht.“

Auszug aus der Website eines Gütesiegel-Anbieters:

Die unabhängige und hochkarätig besetzte Jury diskutiert über die ihr im Vorfeld übersendeten Bewerbungen und entscheidet in einer vertraulichen Jurysitzung über die Anerkennung und Aufnahme eines Unternehmens als (…) in Deutschland.

 Maria:

„Das klingt sehr intransparent. Ich kann mir – wenn ich das so lese – kaum vorstellen, dass es einen detaillierten Bericht gibt, der Kriterien, Vorgehen etc. transparent macht. Sollte dem tatsächlich so sein: richtig unprofessionell.“

Christin:

„Es lässt dich auf jeden Fall nicht los, das Thema…  Ich fürchte, je weiter man gräbt, desto unprofessioneller wird das Bild. Haben die vermutlich auch nur zu Marketingzwecken gemacht, nicht weil die Kompetenz – und schon gar nicht, weil echtes Interesse an ganzheitlicher, umfassender und kritischer Betrachtung – vorhanden ist…“

Maria:

„ABSOLUT… beides!“

Pokal oder echte Exzellenz?

Vielleicht war es genauso, oder vielleicht auch nicht… Mit Sicherheit entbehrt dies einer vollumfänglichen Betrachtung und Analyse. Ich bin zu 100% dabei, dass eine so kurze „Abhandlung“ keine professionelle Auseinandersetzung mit dem Thema darstellt oder ersetzt. Gleichzeitig macht sie in komprimierter Form deutlich, welchen nicht nur Nutzen, sondern auch Schaden Gütesiegel möglicherweise anrichten können.

Es verbleibt die Frage: Welches Ergebnis oder welche Wirkung möchte ich als Unternehmen wirklich bezwecken? Will ich den Pokal nur für mein Schaufenster nach Außen? Oder strebe ich nach echter Exzellenz im Innen?

Und was heißt das für die Menschen, die als Bewerbende und neue Mitarbeitende gewonnen werden sollen? Bleibt neugierig! Fragt nach, sprecht mit den Menschen im Unternehmen und lauft mit ausgefahrenen Stimmungs-Antennen über die Flure. Schaut in die Büros und die Gesichter der Menschen, und beobachtet, wie sie miteinander sprechen und agieren… und das Wichtigste: vertraut auf euch selbst, euren eigenen Eindruck und euer Gefühl von Stimmigkeit! Damit werdet ihr immer näher an der Realität sein als jeder erdenkliche Pokal.

I’m on a mission… 🙂

© Text: Michaela Meyer © Bild: generiert mit Chat GPT

Quelle Talention: www.talention.de