Do no harm – Macht und Ethik in Führung und Facilitation
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge habe ich letzte Woche den Präsenzteil meiner Ausbildung zum „CoCreative Facilitator & Leader“ abgeschlossen. Ein Thema, dem wir uns im Rahmen eines cokreativen Dialogs widmeten, war die Bedeutung von Macht und Ethik in Führung und Facilitation. Ganz genau, „au weia, jetzt wird’s anstrengend“ war auch mein erster Gedanke. Aber von vorne…
Was heißt überhaupt Facilitation?
Der Begriff „Facilitation“ hat tatsächlich kein wirklich passendes, deutsches Pendant. Wenn ich von Facilitation spreche, benutze ich den Begriff gerne im Sinne der durch das Team CoCreative geprägten Definition:
Facilitation beschreibt sowohl das Vorgehen als auch die Haltung die es braucht, sich Menschen und ihrem individuellen Kontext auf eine Art und Weise zu nähern, die aus den verschiedenen Disziplinen Coaching, Training, Mediation, Moderation und Beratung diejenigen Formate und Methoden auswählt, die den nächsten Schritt in Richtung Zukunftsgestaltung ermöglichen.
Ich gebe zu, das klingt etwas sperrig. Wer es prägnanter mag: Facilitation = Führung ohne Inhaltsverantwortung. Ja, richtig gelesen. Natürlich führe auch ich als Facilitatorin meine Kunden durch Prozesse – als Expertin für genau diesen Prozess eben.
Macht und Ethik – eine längst überfällige Diskussion
Dass Führungskräften und Facilitator*innen schon alleine durch ihre Rolle eine gewisse Machtposition zugeschrieben wird, die es verantwortungsvoll zu gestalten gilt, ist sicherlich einleuchtend. Dass zusätzlich das Thema Ethik auf unserer Agenda stand, fand ich allerdings durchaus außergewöhnlich. Zumindest ich hatte bisher in keinem meiner Kontexte – als Angestellte in der Personalentwicklung oder im Marketing, als Vorstandsassistentin, oder heute im Rahmen meiner Coachings und Projekte – eine bewusste Auseinandersetzung mit Führungsethik erlebt. Fakt ist, dass diese heute auch so gut wie gar nicht existiert, und schon gar nicht in der gängigen Führungs- und Managementliteratur zu finden ist. Ich glaube ich habe tatsächlich 14 Semester BWL studiert, ohne jemals mit dem Wort „Ethik“ in Berührung gekommen zu sein.
Umso neugieriger widmeten wir uns in unserer Kleingruppe der Frage nach den Möglichkeiten und Gefahren, die die Einflussnahme durch Führung und Facilitation mit sich bringt. Soweit so einfach. Die Liste „hilfreichen“ Verhaltens, welches Möglichkeiten für tragfähige Entscheidungen, Weiterentwicklung und Zukunftsgestaltung schafft, füllte sich schnell. Auch auf der Gefahrenseite bekamen wir leicht ein paar Punkte zusammen: Intransparente Kommunikation, Beschränken statt Empowern, Durchsetzen eigener Ziele usw.
Zurück im Plenum brachten wir unsere Gedanken gemeinsam auf den Punkt:
Die größte Gefahr bei der Einflussnahme durch Führung und Facilitation besteht darin, dass die durch die Rolle verliehene Macht und Verantwortung für nicht von deren Mandat gedeckte Zwecke missbraucht wird.
Klingt erst einmal logisch. Das heißt, egal ob ich Führungskraft oder Facilitator*in bin, ich muss mich immer wieder bewusst damit auseinandersetzen wofür ich antrete, welches Thema im Fokus steht, und die Erreichung welches Ziels mein Auftrag ist.
Ist „gut“ immer auch „ethisch“?
Aber welches Verhalten stellt nun einen ethisch verantwortlichen Umgang mit den Einflussmöglichkeiten von Führung und Facilitation sicher? Nun waren wir unausweichlich mit dem Begriff „Ethik“ konfrontiert. Was genau heißt überhaupt Ethik? Lasst uns mal googeln was Wikipedia sagt. Aha. Und Moral gibt es ja auch noch. Ok, jetzt wird’s philosophisch…
Nach einigem Ringen und ein bisschen Hin und Her gelangten wir irgendwann zu der Erkenntnis, dass für „gut“ befundene Führung oder Facilitation nicht automatisch auch „ethisch“ ist. Es gibt sicherlich viele Führungskräfte und Facilitator*innen, die alle möglichen Theorien, Modellen, Tools und Kommunikationstechniken bestens kennen und beherrschen. Sie besitzen ein ganzes Repertoire an systemischen und ressourcenorientierten Fragen, geben perfektes Feedback nach der WWW Struktur, und WOL und OKR sind für sie keine Fremdwörter, sondern daily business. Und gleichzeitig können sie sich unethisch verhalten. Indem sie ihre eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund stellen, sich selbst und ihre persönlichen Ziele verfolgen, und andere Menschen für die eigenen Zwecke missbrauchen: eben nicht unbedingt das ihnen Kraft ihrer Rolle verliehene Mandat erfüllen.
Also formulierten wir unsere eigene Beschreibung von „ethischer“ Führung und Facilitation:
Ich nehme Abstand von mir selbst und richte den Blick auf die anderen und das System. Ich möchte – entsprechend dem mir verliehenen Mandat – herausfinden, was wann für das System passend und hilfreich ist, ohne selbst zu wissen – oder zu glauben wissen – was das sein könnte.
Zeit für einen Ethik-Kodex
Wenn ich jetzt, mit einer Woche Abstand, diesen prototypisch entwickelten Satz lese, glaube ich, dass er im Kern das erfasst, was Führung – und auch Facilitation – so anspruchsvoll und herausfordernd macht. Denn so einfach das was hier geschrieben steht klingt, so schwierig ist es umzusetzen: Ich darf meinen Blick auf die Menschen und das System für die ich Verantwortung trage nicht verstellen, indem ich auf mich selbst schaue. Ich muss mich lösen und unabhängig sein von dem was mich im Außen beschränkt, wie Gehalt oder Karriere, aber auch von dem was mich im Innen beschränkt, wie bestimmte Glaubenssätze oder Denkmuster. Und ich muss gleichzeitig verbunden sein und bleiben – mit mir selbst und den Menschen, die ich führe. Wer diese Reise einmal angetreten hat, wird schnell erkennen, dass sie nie wirklich vorbei sein wird. Wir sind nie „fertig“ damit, an uns zu arbeiten, und dieser Gedanke ist anstrengend und befreiend zugleich.
Unser Fazit: Es braucht in jedem Fall so etwas wie einen Ethik-Kodex für Führung und Facilitation. Wie genau der aussehen kann, und welchen Beitrag wir zu seiner konkreten Ausgestaltung leisten können, wird sicherlich einer der nächsten Punkte auf unserer gemeinsamen, co-kreativen Agenda werden…
© Text & Bild: Michaela Meyer